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Warum Streuobst?

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Streuobstwiesen, ein wertvolles Stück Heimat.

Am 3.4.2024 stelle ich vor dem Wunstorfer Ortsrat unsere Streuobst AG vor. Auf dem Weg zu einer schlüssigen Präsentation habe ich mich nochmals mit der Frage befasst warum Streuobstwiesen so einen hohen Stellenwert haben.

Als im Schwabenland sozialisierte „Reigeschmeckt“ (zugezogen aus dem Sauerland) finde ich Streuobstwiesen einfach sehr schön. So sieht Heimat aus.

Im Frühling ist die Obstblüte für mich ein kleines Wunder, ein Zeichen der Hoffnung. Dass etwas so zartes wie eine Obstblüte fast direkt aus dem Holz wachsen kann. Oft ist das Holz noch mit Flechten oder Moos bewachsen, sieht richtig wettergegerbt aus und doch bringt es eine hauchfeine Blüte hervor, unfassbar.

Vor allem die großen Obstwiesen erinnern an parkähnliche Landschaften. Obstbaumflächen ziehen sich über Hügel hinweg, bedachen Blühwiesen oder Schafweiden, sie flankieren Dörfer und beschatten Straßen. Nebenbei wohnt in Ihnen eine große Anzahl unterschiedlicher Lebewesen. Bis zu 5000 Arten finden auf Streuobstwiesen ein zuhause. Diese Vielfalt würdigt der Mensch durch gesetzlichen Schutz und einen Eintrag als immaterielles UNESCO Kulturerbe.

UNESCO und Politik schützen Streuobstflächen um sie vor der Zerstörung zu bewahren, leider stehen sie auf der roten Liste der Biotoptypen. Streuobstwiesen sind, wie auch Blühwiesen, vom aussterben bedroht. All ihre Schönheit hat ihnen nicht genutzt. Dabei ist die Schönheit auch ein Wirtschaftsfaktor. Gerade in Wunstorf könnten die 27 Streuobstflächen (zumindest ein Teil davon) in einer Fahrradroute verbunden werden. So können die Gäste des Steinhuder Meeres mit dem Fahrrad von Obstwiese zu Obstwiese die Umgebung kennen lernen und in den Ortsteilen z.B. an der Dorfmanufaktur Idensen oder in der Wunstorfer Fußgängerzone zu Kaffee und Kuchen oder einem Eis verführt werden.

Die Betrachtung als Wirtschaftsfaktor endet allerdings nicht bei dem Tourismus, auch als Genpool sind Streuobstwiesen unverzichtbar. Als hochstämmige Bäume werden auf Streuobstwiesen meist „alte Sorten“ angebaut. Alte Obstsorten finden sich eher nicht im Supermarkt. Äpfel die Jakob Lebel, James Grieve oder Edelborsdorfer heißen, sind möglicherweise nicht schön glänzend rot, vielleicht druckempindlich und dadurch nicht für den Transport geeignet oder schlicht nicht „in“. Von den ca. 6300 bekannten Arten finden sich nur bis zu 10 Arten im Regal des Supermarkts. Die restlichen 6290 Arten bilden einen unverzichtbaren Genpool der besonders für den gewerblichen Obstbau sehr wichtig ist. Nicht alle Obstsorten und -arten kommen mit den steigenden Jahresdurchschnittstemperaturen klar und der Druck durch bisher bei uns nicht bekannte Krankheitserregern, Pilze oder Insekten wird wachsen. Ein großer Genpool aus dem neue Sorten mit Resistenzen gezüchtet werden können ist daher ein Schatz den wir hüten müssen. Je mehr der alten Sorten auf unterschiedlichen Böden und in unterschiedlichen Landstrichen angebaut werden umso besser für die Zukunft des deutschen Obstbaus.

Eine Antwort auf die Frage nach der Ursache für die Artenvielfalt auf den Streuobstwiesen ist der Strukturreichtum. Waldelemente wie Baumkronen und der Stammbereich verbinden sich mit Wiesenelementen. Sonnige und schattige Bereiche wechseln sich kleinteilig ab und fördern so das Wachstum unterschiedlicher Blühpflanzen. Es gibt an den Bäumen Mikrohabitate wie Mulmhöhlen, Bewuchs durch Moose und Flechten oder Totholz. Lebensräume für Kleinstlebewesen die wiederum Lebensgrundlage größerer Arten sind. All dies fördert den Aufbau einer artenreiche Fauna und Flora.

Die andere Antwort ist eine extensive Bewirtschaftung. Durch die Nutzung der Wiesen als Weide und die Mahd zur Gewinnung von Heu als Tierfutter werden der Fläche ständig Nährstoffe entzogen bzw. es gibt punktuell sehr unterschiedlich nährstoffreiche Böden. Auch dies fördert den Bewuchs mit vielen Pflanzen und Kräutern. In der Regel gibt es auf Streuobstwiesen unterschiedlich hohe Bewuchsbereiche da sie im Mosaik gemäht werden. Pflanzen ganz unterschiedlicher Höhe und Reife bleiben stehen, bieten den Wiesenbewohnern Nahrung, Lebensraum und Versteckmöglichkeiten. Auf Weiden selektieren die Tiere durch ihre Vorlieben und schaffen so Blühinseln die stehen bleiben.

Die über das Stadtgebiet getüpfelten Streuobststrukturen können sehr gut als Trittsteinbiotope fungieren und die Artenvielfalt gerade des Steinhuder Meeres über die Stadtgrenzen Wunstorfs leiten. Damit das gelingen könnte wäre es sehr hilfreich, dass viele ökologische Akteure zusammenarbeiten. Ein erster Schritt könnte ein grüner, runder Tisch sein. NABU, BUND, Imker, Landwirte, Jäger, Angler, Schulen, … könnten dort eine Möglichkeit finden sich zu vernetzen und gemeinsame Aktionen abzustimmen. Eine Biodiversitätsstrategie wäre eine logische Konsequenz.

Abgesehen von all den schon beschriebenen Aspekten der Wunstorfer Streuobstwiesen erfüllen diese auch soziale Aufgaben. Neben der kostenlosen Bereitstellung von Lebensmitteln in Bioqualität sind Mitmachveranstaltungen gute Möglichkeiten sich kennenzulernen und gemeinsam etwas zu erreichen. Die Obsternte, die Pflege der Wiesen oder Neuanpflanzungen lassen sich mit vielen Händen deutlich einfacher bewerkstelligen. Die Ausübung alter Kulturtechniken wie Baumveredelung oder Sensenmahd erhält altes Kulturgut für die Zukunft lebendig. Als grüne Klassenzimmer können sie allen Altersgruppen einen Raum für Beobachtungen und Wissensaustausch bieten.

Streuobstwiesen machen es uns leicht Naturwissen und Naturerleben vielen Menschen zu ermöglichen. Wenn ich beobachte wie schön die Natur ist, wenn ich weiß wie komplex oft die Zusammenhänge in einem gefährdeten Lebensraum sind, dann kann ich abschätzen wie wichtig der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur ist. Letztendlich gilt der alte Spruch, nur was ich kenne und liebe werde ich schützen.